2010-06-10 Welt - Die Faszination des Mittelalters oder "Reporterleben"

Manchmal erleben wir Dinge, welche man nicht wirklich glauben kann - oder will. Wie zum Beispiel Ende Juni 2010: Uns erreichte eine E-Mail mit Fragen eines Reporters...

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Von: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. [mailto:Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.]
Gesendet: Mittwoch, 23. Juni 2010 14:29
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Betreff: spectaculum

Sehr geehrte Damen und Herren,

Für die Tageszeitung die WELT schreibe ich einen Vorbericht über das Spectaculum. Ich bitte herzlich, meine Fragen kurz per Mail bis Donnerstag, 11 Uhr, zu beantworten.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. EXXXXX
Axel Springer AG

1) Wie erklären Sie sich die Faszination vieler Menschen für das Mittelalter?

2)  Was bieten Sie selbst dar - und lohnt sich der Einsatz auch finanziell?

3) Warum interessieren Sie sich für das Mittelalter?

Axel Springer AG, Sitz Berlin, Amtsgericht Charlottenburg, HRB 4998
Vorsitzender des Aufsichtsrats: Dr. Giuseppe Vita
Vorstand: Dr. Mathias Döpfner (Vorsitzender),
Rudolf Knepper (stellv. Vorsitzender), Lothar Lanz, Dr. Andreas Wiele

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Dem Manne kann geholfen werden. Ohne von einander zu wissen, schrieben Jutta und Heiko nachts zeitgleich an der entsprechende Antwort-E-Mail. Heikos war sehr müde und entsprechend war auch die E-Mail: zu trocken und seriös. So gewann Juttas E-Mail und wurde noch in der Nacht an den Axel-Springer-Verlag gesandt:

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Von: Schule für mittelalterlichen Schwertschaukampf UG
Gesendet: Donnerstag, 24. Juni 2010 01:07
An: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Betreff: AW: spectaculum

Sehr geehrter Herr EXXX,

vielen Dank für die Anfrage: Hiermit erhalten Sie gern die gewünschten Antworten.

Zur Faszination der Menschen am Mittelalter:
Seit Beginn der Menschheit gibt es Wirte und Huren, Gaukler und Spielleute, Bauern, Handwerker, spirituelle Führer und weise Frauen. Es ist somit weniger die Suche nach einem neuen Zeitvertreib, als viel eher die Rückbesinnung auf das einfache Leben. Dessen damalige Nachteile uns heute glücklicherweise weitestgehend erspart bleiben, wie Hunger, Seuchen, Leibeigenschaft, fehlende Kanalisation etc.

In unserer  schnellebigen Zeit regieren Mobiltelefone und das Internet zunehmend Beruf und Alltag. Zeit zum gemeinsamen Kochen, Essen und Spielen ist knapp, und manch einer wird trotz aller technischen Hilfsmittel wie Waschmaschine und Mikrowelle übermüdet ins Bett sinken. Die moderne Technik bestimmt allerorten unseren Tagesablauf, ob immer zum Wohle des Menschen sei dahingestellt.

Da erscheint es nur natürlich, der ständigen Reizüberflutung entfliehen zu wollen, und sei es nur für einige Stunden. Einzutauchen
in eine Welt der fremdgewordenen Wohlgerüche (vom frischen Brot bis zum Räucherwerk), der handgemachten Musik zu lauschen, Akrobaten hautnah zu erleben.Vielleicht sogar ein Schwert oder ein Kettenhemd zu berühren und sich vorzustellen, wie es "damals" gewesen sein könnte.


Zu unserer eigenen Darbietung:
Wir sind die "Schule für mittelalterlichen Schwertschaukampf" und treten mit einem eigenen Theaterstück bei MPS auf. Darüber hinaus zeigen wir unser Können vom Einzelkampf bis zur Massenschlacht. Interessierte Besucher dürfen bei einem sogenannten Schnuppertraining auch selbst unter Anleitung ein Schwert führen.

Als jungem Unternehmen (2007) steht bei uns zur Zeit noch der Spaß an der Freud' im Vordergrund. Durch die Präsenz auf den Mittelaltermärkten im Großraum Hamburg erhöht sich jedoch auch der Bekanntheitsgrad der Schule, und wir haben zunehmend Anfragen auch von außerhalb der Szene. So wirkten z.B. im April 2010 einige KämpferInnen in einem Videodreh der Rockband "DORRN" mit. Wir werden desweiteren gelegentlich um Mitwirkung an Firmenincentives gebeten, oder bereichern Schulfeste.

Unsere bislang größte Herausforderung wartet auf uns Ende August diesen Jahres. Vor einigen Wochen wurden wir - als zweite deutsche Gruppe überhaupt - vom Kulturhaus aus Hermannstadt/Sibiu in Rumänien eingeladen, dort am "Festivalul Medieval Cetati Transilvane" teilzunehmen.

 
Zum eigenen Interesse am Mittelalter:
So unterschiedlich die Menschen in unserer Schule sind, so unterschiedlich ist auch die Motivation. Einige frönen dem sogenannten Reenactment, und hätten am liebsten nur das in ihrer Suppe, was seinerzeit schon bekannt war. Manche haben Spaß an Fantasy und LARP, bei anderen begann es mit einer Faszination für die sakrale Architektur der Gotik und Hochgotik. Wieder andere kommen in erster Linie wegen des Schwertkampfes als Sport, und gewanden sich, weil es alt dazu gehört. So wie man sich eben auch für den Operbesuch oder eine Hochzeit eleganter kleidet als im Alltag.
 
Es herrscht im allgemeinen im eigenen Lager und auch sonst auf dem Markt ein selten gewordenes großartiges Gemeinschaftsgefühl. Man hilft einander, häufig noch bevor die Bitte überhaupt ausgesprochen wurde. Man achtet sich und achtet aufeinander. Denn wir sitzen alle im selben Regen bei kaltem Wind, und sind alle gleich nass. Wer heisse Suppe will, muß Holz hacken. Es ist erstaunlich, mit wie wenig Wasser man auskommen kann, wenn man es erstmal vom nächsten "Brunnen" herbeischleppen muß.

Es gibt Splitter und Brandblasen, Rückenschmerzen vom Schlafen auf dem Boden, die Gewandung riecht komplett nach Lagerfeuer und man hat ständig dreckige Hände. Doch das alles ist ein sehr geringer Preis, wenn man in ein glückliches Kindergesicht blickt, dessen Besitzer einen am Waffenrock zupft und mit leuchtenden Augen fragt:" Du, Herr Ritter, wie schwer ist denn so ein Schwert?"

Wären Sie bitte so freundlich und lassen uns ein Exemplar der Ausgabe zusende, in dem der Artikel stehen wird?

Bei Fragen stehen wir gerne zur Verfügung.
 
Mit freundlichen Grüßen
 
Heiko Schulze und Jutta Bier
Trainer für mittelalterlichen Schwertschaukampf
 
Telefon: 0176 48 20 45 07

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Nach einer solch netten Antwort waren wir natürlich auf den Artikel gespannt. Die Antwort-E-Mail kam mit nur einem Satz:

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-------- Original-Nachricht --------
Datum: Fri, 25 Jun 2010 17:09:48 +0200
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Betreff: AW: spectaculum

http://www.welt.de/die-welt/vermischtes/hamburg/article8175454/Die-Faszination-des-Mittelalters.html

Mit freundlichen Grüßen,

EXXX 
Axel Springer AG
Tel.: +49 (30) 2591-0

Axel Springer AG, Sitz Berlin, Amtsgericht Charlottenburg, HRB 4998
Vorsitzender des Aufsichtsrats: Dr. Giuseppe Vita
Vorstand: Dr. Mathias Döpfner (Vorsitzender), Rudolf Knepper (stellv.
Vorsitzender), Lothar Lanz, Dr. Andreas Wiele

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OK, wir waren gespannt... Hier kommt nun der Originaltext aus der Welt:

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Die Faszination des Mittelalters

Historische Märkte verzeichnen immer mehr Besucher - Heute startet das "Spectaculum" in Bahrenfeld
von EXXX

Es ist ein Schreien und Wehklagen, als die ersten Toten auf die Holzkarren getragen werden. Die Menschenmenge aus Doctores, Nonnen, Rittern und dem gemeinen Volk bricht sich in der Dunkelheit Bahn, bis der Vogt im Schein der Fackeln ruft: "Es ist die Pest! Der Schwarze Tod hat sie geholt."

Was die Menschen im Mittelalter einst in Angst und Schrecken versetzte, kann heute und morgen Abend spielerisch nacherlebt werden. Um 22.30 Uhr startet auf der Bahrenfelder Trabrennbahn der "Große Pestumzug" - und damit der finstere Höhepunkt eines Spektakels, das bis einschließlich Sonntag wieder mehr als 20 000 Besucher anlocken dürfte.

Erstmalig findet das mittelalterliche "Spectaculum" jetzt zweimal pro Jahr in Hamburg statt. Der Grund: Das Mittelalter übt auf viele Menschen eine solche Faszination aus, dass die Besucherzahlen an den volkstümlichen Events mit Met und Musik, Rittern und Pferden seit Jahren stetig steigen. Bundesweit sind es alljährlich mehr als eine Million Gäste, die zu diesen Veranstaltungen kommen. Und vom Digitalzeitalter in eine längst vergangene Epoche abtauchen wollen.

"Die Leute lieben die Nostalgie, die Langsamkeit, die Burgen und Romanzen und das viele Handgemachte, das gekauft und bewundert werden kann", sagt Edwin Ball, Künstlerischer Leiter des "Mittelalterlich Phantasie Spectaculum" mit Sitz in Dinkelsbühl.

1000 Akteure aus ganz Europa, dazu viele Händler und Marktleute, werden die Besucher ins Mittelalter schicken. Es gibt 300 mittelalterliche Bauten und Installationen sowie 100 Marktstände, darunter für Ritterrüstungen zum Preis von 6000 Euro, für Wildspezialiäten, Waffen, Schmuck und Kleidung. Immer wieder treten Gaukler und Falkner auf, liefern Ritter einander Kämpfe. Zwischendurch versuchen wilde Gesellen, eine 120 Kilogramm schwere, mit Stroh und Tannenzapfen gefüllte Kuhhaut über eine gegnerische Torlinie zu rollen.

Wer ins Mittelalter reist, zahlt im Schnitt zehn Euro Eintritt. Dafür muss man sich auf eine spezielle Sprache einstellen, ein Kunstprodukt aus Lutherdeutsch und eigenen Kreationen. Zum Abschied heißt es "gehabt euch wohl" oder "stets trockenes Pulver". Den Akteuren gefällt die inszenierte Zeitreise, das Spiel mit historischen Fantasien. "Es herrscht im eigenen Lager und auf dem Markt ein selten gewordenes, großartiges Gemeinschaftsgefühl", sagen Heiko Schulze und Jutta Bier. Die beiden Norderstedter sind Trainer für mittelalterlichen Schwertschaukampf. Die Profis zeigen beim Spectaculum ihr Können vom Einzelkampf bis zur Massenschlacht. Vor allem aber lieben sie das einfache Leben, die Wohlgerüche von frischem Brot und Räucherwerk. Einziger Minuspunkt: "Es gibt Splitter und Brandblasen, Rückenschmerzen vom Schlafen auf dem Boden. Und man hat ständig dreckige Hände."

Ums Geld gehe es den meisten Darstellern nicht. "Wir sind ein Heerlager und präsentieren das Leben im Mittelalter ohne finanzielle Absichten", sagt etwa Familie Tegeder-Patjens vom Heerlager Rabenschwinge.

Was solche Heerlager an Lagerfeuerromantik und Nostalgie vermitteln, entspricht genau den Erwartungen der Besucher. "Sie wollen von der digitalen Welt in ein einfaches Leben abtauchen", meint Volker Maak, "Kapitän" der Hammaburger Strandpiraten, eines maritimen Heerlagers. Für romantisch verklärte Mittelalterfreunde sei ein Spektakel mit Schaukämpfen und Verkaufsständen genau das richtige, ergänzt Anna-Mailin Behm, Mitarbeiterin am Mediävistik-Lehrstuhl von Professor Hans-Werner Goetz an der Uni Hamburg. Vor allem die Musikszene finde beim Publikum wachsende Resonanz. "Es gab im vergangenen Jahrzehnt geradezu einen Boom der 'mittelalterlichen' Bands", beobachtet die Nachwuchswissenschaftlerin. Nur eines dürfen die Besucher solcher Festivals nicht erwarten: "Historisch authentisch", sagt die Expertin, "sind derlei Spektakel nicht gerade."
 

Jutta antwortete nur mit einem Wort:

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-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Jutta Bier [mailto:Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.]
Gesendet: Freitag, 25. Juni 2010 17:47
An: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.; Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Betreff: AW: spectaculum
 

Danke!

Mit freundlichen Grüßen

Jutta Bier und Team
Organisatorin der Schule für mittelalterlichen Schwertschaukampf

www.schwertschaukampf.de
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Mehr ist dazu auch nicht zu sagen, oder?

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Telefon +49 176 48 20 45 07

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